Romane

1. Roman: Verdeckte Spuren
Ex-Polizist Gerhard Beckmann taucht ein in die sardische Kulturlandschaft und kämpft mit den Gespenstern der Vergangenheit.
»Zwischen dem Haifischbecken Berlin und der vermeintlichen Idylle Sardiniens. Brunow erzählt gekonnt davon, dass es in unserer Welt keine unschuldigen Gegenden mehr gibt.« Thomas Wörtche
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Als ich auf Sardinien ein Haus baute, wurde die Insel für mich bald nicht nur ein Ferienziel, sondern Sardinien, seine archaische Natur und seine Bewohner wuchsen mir zutiefst ans Herz. Ich recherchierte, schrieb und produzierte drei Radiofeature über sardische Kultur, Musik und Mythen. Und als mit der Pandemie bei mir der Wunsch aufkam, nicht mehr Drehbücher zu schreiben, sondern Romane, war klar, dass Sardinien als ein Schauplatz in ihnen vorkommen musste. So plante ich eine Kriminalromanreihe, in der es um die aktuellen gesellschaftlichen Konfliktlinien gehen sollte und versetzte einen scheinbar in seinem Beruf gescheiterten Berliner Kriminalrat in die Natur eines stillen Tales auf Sardinien.
Da ich zunächst keinen Verlag fand, erschien „Verdeckte Spuren“ im Mai 2023 bei BoD als erster Teil der geplanten Trilogie „Im Dickicht der Zeit“. Auf Grund von guten Rezensionen unter anderem in der FAZ und CrimeMag wandte sich der ars vivendi verlag an mich und der zweite Band Die Chinesin“ konnte im Juli 2024 im Verlag erscheinen.
Ich kündigte daraufhin den BOD Vertrag für „Verdeckte Spuren“ und unter dem Titel, der ursprünglich für eine Trilogie vorgesehen war, erscheint dieser Beckmann auf Sardinien Roman im Frühjahr 2025 im Verlag als Prequel. Für Ende 2025 ist dann „Der Mensch vom Meer“ in der Planung und die Reihe soll in Absprache mit ars vivendi darüber hinaus fortgesetzt werden.
Der Raum stets mehr als der Ort der Handlung
Jochen Brunow, „Verdeckte Spuren“ Über die erste Veröffentlichung als BoD
Dass dieser Kriminalroman als Book on Demand erscheint und nicht bei einem Normalverlag, sagt etwas über die Verlagslandschaft, zeigt aber auch Haltung. Jochen Brunow ist ein Erzähler, ganz unbestritten, und das lange schon. Warum sollte er mit Anfang 70 Kompromisse machen? „Verdeckte Spuren“ ist als erster Teil einer Trilogie angelegt. „Die Chinesin“ und „Der Mann vom Meer“ sollen folgen.
Mir immer noch unvergessen ist einer der schönsten Liebesfilme, die ich kenne: „Berlin Chamissoplatz“ von Rudolf Thome, Drehbuch: Jochen Brunow, Kamera Martin Schäfer. Bei der Uraufführung am 1. November 1980 auf den Hofer Filmtagen war ich dabei. Zwanzig Tage aus dem Leben von Anna und Martin (Hanns Zischler und Sabine Bach), segmentiert durch zwanzig lange Auf- und Abblenden. Einmal sitzen die beiden im Kino, es läuft Jacques Rivettes „Celine und Julie fahren Boot“. Martin schläft an ihrer Schulter ein, Anna weint fast unmerklich. Mir pocht heute noch das Herz, wenn ich an die Szene denke.
Jochen Brunow ist ein Erzähler. Auch für das Unsichtbare. Immer schon gewesen. Ich lernte ihn als Filmkritiker kennen. Dann wurde er Mitbegründer der Zeitschrift „Filme“, der Anspruch an die Texte dort hoch, so ernst genommen wie das Filmemachen selbst. Er gehörte zu den Gründern des VDD, des Berufsverbands der Drehbuchautoren, rief 1987 die Berliner Drehbuchwerkstatt mit ins Leben, wurde Seminarleiter, Juror und Stoffbetreuer, Dozent für Dramaturgie und Drehbuch an der DFFB in Berlin und der ZHDK in Zürich. Immer schon interessierten ihn Musik und ihre Verbindung mit dem Film, dem spürte er unter anderem in der Hörfunk-Reihe „Die Entfesselung der Bilder“ nach.
Und jetzt also nach Drehbucharbeit („Filmemachen auf Papier“, nennt es Frank Daniel), vielen Reisen, darunter auch länger Neuseeland, Autor eines Kriminalromans. Schauplatz: Sardinien, ganz viel Sardinien, und Berlin. Nicht das übliche Debüt. Nicht das übliche Möchtegern und Kannichdochauchmal. Ganz stark, von Anfang an, sind Ort und Zeit.
Und das weckt schlafenden Hunde. Beckmann wird zuhause überfallen, zusammengeschlagen, seine Zugehfrau böse verletzt. Vom Täter sieht er nur die Fußspitzen: Cowboystiefel, metallbeschlagen. Über weite Strecken des Buches – und das ist das Kino im Kopf – reichen diese Stiefelspitzen, um der Gegenseite, mit der Beckmann es zu tun hat, ein Gesicht zu geben. Das, und ein Verweis auf „die aus Calvi“, auf eine ominöse Rotte 13, Fremdenlegionäre die im korsischen Calvi stationiert sind und mit der Fähre die kurze Strecke nach Sardinien herüberkommen.
Zwischen Sardinien und Berlin oszillierend, zieht der Fokus der Handlung sich immer weiter auf. Viele Kleinigkeiten und Details, flirrende Einzelheiten, Hintergrund, Musik und Kultur, Sonne und Staub, viel Sardinien, immer ein genauer „sense of place,“ geben der Lektüre die wunderbare Körnigkeit eines echten Kinofilms.
Der alte Drehbuchhase Wolfgang Kohlhaase, pardon the pun, sagte dazu: „Wenn man an einem Ort ist, ist man in der Welt.“ Oder frei nach Claudio Magris: „In einem Splitter kann die Welt sein.“ Jochen Brunow hat sich, natürlich, damit beschäftigt, siehe etwa seinen Essay „Vom Raum, in dem wir leben. Gedankensplitter zur räumlichen Verortung des Erzählens“. Darin heißt es unter anderem:
Jochen Brunow tut das mit Worten. Große Kunst. Und die Stiefelspitzen kommen noch mehr als einmal vor.
PS. Ich mag in diesem Roman auch die Medienreferenzen des Medienmenschen Jochen Brunow. Etwa wenn seine Figur am RIAS Funkhaus vorbeikommt, in dem er selbst einst gerne gearbeitet hat. Wenn er an Friedrich Luft denkt („Wer spazieren geht, der hat das eigentliche Tempo des denken Menschen“). Wenn Beckmann das kleine Pueblo-Dorf San Salvatore di Sinis besucht, wo Italowestern gedreht wurden („Ausgeblichene Farben blätterten von rissigem Holz. Helles Lehmbraun, Ocker, ungestrichener Putz und rohe schwarze Feldsteine“). Wenn er beim shoot-out an die Day for night-Aufnahmen in Westernfilmen denken muss, die ihm im Kino immer unerträglich künstlich erschienen waren: „Das Licht so hell, dass Bäume und Felsen, Natur und Gegenstände lange Schatten warfen.“ Oder die kleine Nebenbei-Szene in einer WG, als eine Mitbewohnerin das Frühstücksgeschirr wortlos in die Spülmaschine räumt: „In ihrem Volontariat beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk war sie gewöhnt, für das schmutzige Geschirr verantwortlich zu sein.“
Alf Mayer
Rezension aus Deutschland
Eine bessere Urlaubslektüre kann man sich nicht vorstellen: Anhaltende Spannung hält bis zur letzten Seite auch für den verwöhntesten Krimileser. Sehr interessante, gut recherchierte Fakten und wunderbare Landschaftsbeschreibungen machen Lust auf einen sardischen Inselbesuch, falls man noch nicht dort gewesen sein sollte. Die feinsinnige und gut gewählte Sprache geht weit über das Kriminalgenre hinaus und befriedigt auch gebildete Vielleser !!
Fesselnde Spurensuche zwischen Berlin und Sardinien
Der frühpensionierte Kriminalrat Gerhard Beckmann hat sich auf Sardinien in die Einsamkeit zurückgezogen, geplagt von seiner Vergangenheit in Berlin, einem Alkoholabsturz und dem Tod seiner Frau. Als plötzlich der Journalist David Richter aus Berlin auftaucht und Fragen zu Beckmanns letzter Tätigkeit im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen zum BER stellt, gerät Beckmann mühsam aufgebautes Leben ins Wanken.
Kritik
Jochen Brunow gelingt es meisterhaft, eine dichte, atmosphärische Geschichte zu erzählen, die sich zwischen Berlin und Sardinien entfaltet. Besonders beeindruckend sind die realistischen Beschreibungen der beiden Schauplätze: Berlin mit seinen Licht- und Schattenseiten, Sardinien als Rückzugsort, der aber keine Sicherheit bietet. Der Spannungsbogen ist durchweg hoch und steigert sich mit jeder Wendung. Die Verflechtung von Beckmanns persönlichem Drama mit den politischen und wirtschaftlichen Machenschaften rund um den BER-Skandal sorgt für zusätzliche Brisanz. Brunows Erfahrung als Drehbuchautor zeigt sich in den glaubwürdigen Charakteren und den filmisch präzisen Szenen, Eine fesselnde Lektüre - volle 5 Sterne!
Die Chinesin im September sowie im Oktober 2024 auf der Krimibestenliste von DLF Kultur.
Beckmann trägt – Eine neue Figur etabliert sich
Alf Mayer über den zweiten Roman von Jochen Brunow
Das hatte ich in meinen 45 Kritikerjahren so auch noch nicht: schon gleich wieder so viel Magnetismus, dass ich das neue, noch gar nicht erschienene Buch eines Autors unbedingt schnellstmöglich besprechen will. Letzten Monat porträtierte ich hier Jochen Brunow und sein Debüt „Verdeckte Spuren“: Der Raum stets mehr als nur der Ort der Handlung. Jetzt also Band 2 seiner Trilogie; er heißt „Die Chinesin“. Ich konnte ihn vorab lesen.
An den frühpensionierten Polizisten Gerhard Beckmann kann man sich gewöhnen, das zeigt das zweite Buch mit ihm. Oft ist das ja der schwierigste Roman. Jochen Brunow erweist sich erneut als Erzähler mit poetischem Mehrwert, dem man gerne folgt. Sardinien, sonnenflimmernd im Herbst entsteht vor uns so plastisch, dass man es zu riechen meint. Aber auch in Berlin führt das Buch an unbekannte Ecken. Der Raum ist bei Jochen Brunow wirklich stets mehr als nur der Ort der Handlung. Raum haben auch seine Figuren: Beckmann, wie er allmählich in die Balance kommt. Oder die Chinesin Xia, mit der scharfkantiges Licht auf die allgegenwärtige Präsenz der Weltmacht fällt. Das ist Kriminalliteratur, poetisch und politisch, geerdet und beflügelt. Diese Lektüre lässt den eigenen Atem spüren.
Kein „second book syndrom“. In „Die Chinesin“ sind wir sogleich umstandslos mit Gerhard Beckmann in seinem klapprigen Range Rover auf Sardinien, seiner zweiten Heimat, unterwegs. Der Schirokko rüttelt übellaunig an der Karosserie, die feuchte Glut des Fahrtwinds ist schweißtreibend, die Mineralwasserflasche auf dem Beifahrersitz schon lange leer.
Außer einigen Lastwagen gibt es kaum Verkehr auf der SS 131. Beckmann ist unterwegs zu einem bronzezeitlichen Brunnenheiligtum, dazu war er bisher noch nie gekommen. In der spätsommerlichen Sonnenglut wandert er durchs Gebüsch. Zu den Spannungsbögen bei Jochen Brunow gehört, dass eine alltägliche Situation/ eine ganz normale Handlung/ eine kleine geschilderte Episode plötzlich Aufladung und Tiefe erhält und damit den Roman-Innenraum erhellt, die Welt, in der wir uns mit den Protagonisten bewegen. „Sans Soleil“ hieß 1982 der Film von Chris Marker, voller Alltagsbilder aus Japan, der seine Zuschauer durch den Kommentar in eine neue Wahrnehmungs-Dimension katapultierte. Jochen Brunow, der diese Methode „kristallisierter Einzelmomente“ (Fritz Göttler über „Sans Soleil“) für sich als Romanerzähler verfeinert hat, schrieb damals dazu:
„Sans soleil setzt auf die analytische Kraft der Bilder, auf die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Der Film schafft dies, indem er die große Bilderflut, die numerische Vervielfachung der existierenden Bilder und die Zersetzung ihrer Abbildfunktion durch die elektronische Bearbeitung im Computer, in den Körper des Films selbst hineinholt.“Doch zurück zu Beckmann in der sardischen Macchia:
Der frühere Filmkritiker Jochen Brunow, Mitherausgeber der Zeitschrift „Filme – Neues und Altes vom Kino“ (13 Ausgaben zwischen 1980 und 1982), Drehbuchautor dann von Rudolf Thome und Dozent fürs Drehbuchschreiben, weiß um das Erzählen, weiß ums Sehen, weiß um die Richtung des Blicks. Und dass das Auge nur sieht, was es weiß (Max Slevogt).
Eine, nein: die eine Wahrnehmungserweiterung des Romans ist die Präsenz und Allgegenwärtigkeit von China in unserer europäischen Welt. Unter jedem Stein, wenn man ihn umdreht, dekliniert das Buch durch, schaut ein Stück China heraus. Am Beispiel der Insel Sardinien wird das besonders sinnfällig. Zuerst ist es eine Migrantin am Strand, „die Chinesin“, die Beckmann unter all den Handtaschen- und Fake-Produkt-Verkäufern auffällt. Dann ein „Schilfjunge“, Gruppen von Landsleuten, Lagerhallen, Industriebrachen, Glückspiel, illegale Turniere, Organisierte Kriminalität, chinesische Chemikalien, mit denen sich, „Badesalze“ und andere synthetische Drogen herstellen lassen, eine Handelsdelegation, Touristen und Investoren, Pläne für eine Smart City auf Sardinien, zur Übernahme ganzer Häfen oder zur Transformation ehemaliger Militärstützpunkte als eigene Brückenköpfe. Immer mehr Romanpersonal, die Leiche einer verstümmelten chinesischen Frau, Ermittlungen, Einblicke in die Welt der Triaden und ihre Verknüpfungen mit der wirtschaftlichen Expansion der chinesischen Großmacht, die europäische Angst, es sich mit China nicht zu verderben, und auch die generelle Indifferenz diesem Thema gegenüber…
Xia, die Chinesin, „war eines Tages unter den vielen Migranten, die ihre Dienste am Strand von Porto Taverna anboten, aufgetaucht wie eine Erscheinung, wie ein schönes Phantom. Sie war nicht groß, ihre zierliche Gestalt wirkte fest, stabil, auf seltsame Weise unzerstörbar.“ Ihre große Sonnenbrille wirkt wie aus der Zeit gefallen. Einmal blickt sich Beckmann über die eigene Schulter, sucht im Spiegel die Stelle, auf die ihn die Chinesin bei ihrer Strandmassage hingewiesen hat. Unter ihren Händen kam es ihm vor, als würde sie seinen Körper lesen. Da sei eine Stelle …
Ihr Finger kreiste einen Punkt auf seinem Rücken ein. Er verstand nicht, was sie meinte, aber sie beharrte darauf, da sei etwas „krank“ an seinem Rücken, genau zwischen den Schulterblättern.
„Sonne zu viel.“
Beckmann muss an Peter Lorre denken, wie er in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ im Schaufenster „versucht, das Kreidemal auf seinem Rücken zu erkennen, als er sich krümmt und windet wie ein Wurm“. Das Melanom bringt Beckmann mit der Ärztin Leonie zusammen, mit der sich eine Affäre und damit auch ein neuer Blick auf Sardinien und auf seinen eigenen Gefühlshaushalt als Witwer entwickelt. Die Liebesgeschichte ist intensiv, aber auch melancholisch. Die Warnung „hic sunt leones“ hat ihre Berechtigung. Der Filmautor Brunow lässt seinen Protagonisten Beckmann an die Antonioni-Schauspielerin Monika Vitti denken – „die traurige Nomadin der verlorenen Liebe“.
Immer wieder, aber nicht zu viel, flackern solche filmischen Reminiszenzen auf. Szenen, Räume, Gefühle, Bilder, die wir aus dem Kino kennen und ihm für immer zuschreiben. Industriebrachen etwa dem „Stalker“ von Tarkowski, die Einsicht „Ein Fisch sollte besser im Meer, ein Mann in der Sonne bleiben“ natürlich Alexis Sorbas. Aber auch Kafkas Strafkolonie findet ihren Platz, oder eine sagenhafte Pho-Suppe in Berlin. Überhaupt Berlin. Die Kellerbar im Hotel Ellington in der Nürnberger Straße, die chinesische Botschaft im einstigen Domizil des FDGB, illegale chinesische Polizeistationen. Beckmann, den wir mit diesem zweiten Roman mehr als liebgewinnen, eignet sich in diesem Buch die Welt neu an. Kommt etwas mehr ins Lot. Und auch der Land Rover klappert am Ende nicht mehr.